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Das Geheimnis von Orahovo

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Vielleicht hast du dich schon mal gefragt, was "orahovo" bedeutet. Nun, mir bedeutet es die Heimat, wo meine Wiege stand... Lass dich zu einer Reise dorthin entführen...

Es ist ein 3600 Seelen Dorf im Norden Vojvodinas, gehört also zu Serbien, was früher Jugoslawien war. Die Bevölkerung spricht hier überwiegend Ungarisch, es gibt noch einige hundert Serben sowie andere Nationalitäten wie "Rusin". Auf einigen Landkarten ist es sogar eingezeichnet. Man findet diesen Ort auf der Strecke zwischen Senta und Backa Topola, etwa 30 km südlich von Subotica. Hier gibt es noch so richtige Originale, wie man sie aus Filmen wie Don Camillo und Peppone kennt.

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Kennen


Hier kennt wirklich jede jeden. Bis auf mich, mich kennen wohl noch alle, aber ich kenne fast niemanden mehr, da ich seit 30 Jahren in Deutschland lebe. Häufig werde ich auf der Straße angesprochen, die freudige Erregung der Wiedersehensfreude weicht einem spitzbübischem Gesichtsausdruck, wenn ich etwas verlegen zugeben muss, dass ich keine Ahnung habe, wer mein Gegenüber ist. Solche Gelegenheiten bieten sich immer wieder, wenn ich meine betagten Eltern 3 - 4 mal im Jahr besuche.

Ganz interessant ist, wenn unsere Nachbarin schräg gegenüber uns besucht. Sie ist wie ein Trichter, das Sprachrohr des Dorfes, die alles an Informationen sammelt und gebündelt weiter gibt ;-))

Ihre einleitung läuft fast immer nach dem gleichen Schema ab: "Kennst du noch..." und dann der Name. Ich antworte meist (99,9%) "Ne, keine Ahnung", und dann kommt erstmal eine Erklärung, wessen Sohn oder Tochter das ist, wen sie oder er wann geheiratet habe. Da ich mit denen aber meistens genau so wenig anfangen kann, (ebenfalls zu einem ähnlichen Prozentsatz wie zu den zuvor genannten), geht sie dazu über, zu erklären, wessen Sohn oder Tochter die sei. Am Ende kommt dann meistens heraus, dass die, wo sie mit angefangen hat, auf jeden Fall ein Kind bekommt!!! Ich traue mich gar nicht zu fragen, "von wem", denn das wird mir dann genau so ausführlich erklärt...

Mir dröhnt der Schädel, wenn eine Geschichte zu Ende ist.

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Arbeiten

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. Es werden Kühe, Schweine und Federviecher gezüchtet, aber nicht mehr in so großen Massen, wie früher. Heute lohnt es sich fast gar nicht, irgend etwas zu machen, da die Preise für die Produkte, die ein Bauer benötigt, extrem hoch sind, dafür die Produktpreise für die fertigen Sachen fast null sind. So kommt es häufig vor, dass Jahr für Jahr weniger erwirtschaftet wie investiert wird. Das sei zwar auch in Deutschland normal habe ich mir sagen lassen (von wegen Staatsverschuldung und so) aber das ist noch etwas anderes. Auf jeden Fall ist die Armut sehr groß. Wobei es denen, die ein Stück Land haben, noch recht gut geht, weil sie mehr oder weniger Selbstversorger sind.

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Selbstversorgung

Es ist immer wieder faszinierend, wie wenig meine Eltern aus dem Geschäft einkaufen. Dies fällt mir immer wieder auf - und dennoch habe ich immer das Gefühl, alles, was man braucht, ist da.

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Beispiel Gemüse


Meine Eltern haben - wie die meisten im Dorf - in der Nähe des Hauses einen größeren Garten, den sie bearbeiten. Sie säen und pflanzen alles Mögliche an. Salat gibt es vom Frühling bis zum Herbst frisch aus dem Garten. Ebenso Rettich und Radieschen. Frühlingszwiebel schon wie der Name sagt, im Frühling, richtige im Herbst. Tomaten, Paprikaschoten, Erbsen, Möhren, Bohnen, Kohlrabi, Blumenkohl, Rosenkohl, Wassermelonen, Kürbisse, Zucchini, Auberginen, Kartoffeln, rote Beete - das sind nur einige Beispiele, was dort alles angebaut wird, allein für die Hausfrau.

Da aber überwiegend saisonal bedingtes zu Essen gibt, gibt es auch schon mal 3 Wochen lang jeden Tag Erbsensuppe - nur so, als Beispiel, oder frischen Gurkensalat Morgens und Abends... Ist von etwas so viel da, dass man es nicht aufessen kann, wird auch eingefroren oder nach herkömmlichen, überlieferten Rezepten konserviert.

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Obst

Mit Obst ist es ähnlich. Kirschen, Schattenmorellen, Walnüsse, Pflaumen, Pfirsiche, Äpfel und Birnen gedeihen gut und sind frisch vom Baum herrlich schmackhaft. Hast du schon mal oben im Kirschbaum gesessen und Kirschen direkt gegessen? Das ist was feines, kann ich dir nur sagen!

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orahovo

Der liebe Leser, der bis hier gelesen hat, darf an dieser Stelle auch das Geheimnis von orahovo endlich erfahren Noch heute gibt es etliche riesige, wunderschöne Nussbäume, denen das Dorf den Namen verdankt, denn orahovo heißt "Nussdorf".

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Tiere

Auch Tiere werden hier gezüchtet. Neben Kühen, Schweinen, Schafen und Ziegen gibt es auch Enten, Gänse, Hühner und Truthühner (oder wie ist die korrekte Pluralform von Truthahn??? Truthähne???) Relativ häufig leben auch Perlhühner auf den Bauernhöfen, diese seltsamen grauen Tiere mit weißen Tupfen, die, wenn sie rufen, "TUKATSCH! TUKATSCH! schreien. Vor ein paar Jahren, als meine Kinder noch klein waren, ließ ich mich überreden, so ein Perlhuhn mitzunehmen. Nach Deutschland, in unsere Dreizimmerwohnung, wo wir zu fünft lebten - aber das ist eine Geschichte, die einen eigenen Bericht wert ist... zu finden demnächst unter "LUZIFER - unser Perlhuhn".

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Milch

Wenn man an den unten herunter hängenden Zipfeln der weiblichen Kuh zieht, (Technik, Geduld und Kraft vorausgesetzt) dann fließt frische, kuhwarme, 4 - 7% fette Milch unten raus, in den dafür vorgesehenen Eimer. (Naja, nicht immer ;-)).

Die kannst du so trinken, mit frischem Schaum oben drauf - und dann magst du hinterher lange Zeit keine pasteurisierte, entrahmte, denaturierte mehr aus dem Tetrapack.

Läßt man sie ein paar Tage stehen, gerinnt die Milch. Oben drauf sinkt die Sahne hoch, da sie viel Fett enthält, das ist dann der Rahm. Das kann man mit einer Kelle abschöpfen und in einem großen Bottich sammeln und frisch verwenden oder einfach sammeln. Unten drunter ist die "Schlafmilch", wie wir das immer nannten. Es ist die etwas säuerlich schmeckende Dickmilch, die kann man löffeln.

Hat sich etwa 2 Liter Rahm angesammelt (das geht schnell, da die Milch voll fettig ist), wird das ganze in einen 4 - Liter - Gefäß aus Glas gegeben, die große Öffnung mit Plastikfolie bedeckt und fest verschlossen. Nun wird kräftig geschüttelt, immer weiter, etwa eine halbe bis eine Stunde lang, schön im Rhythmus. Erst passiert nix, aber auf einmal bilden sich Klümpchen - das Fett trennt sich vom Wasser - um zu Butter und zu Molke zu werden!

Die "Schlafmilch" kann man so essen, oder weiter verarbeiten. Man läßt sie etwas warm werden, so etwa 38- 40° C. Dann nimmt man eine eigens für diesen Zweck angeschaffte Mullwindel (Pampers geht nicht) und gießt die Masse rein, nimmt die 4 Zipfel hoch, verknotet sie und hängt das ganze über eine Schüssel zum Abtropfen über Nacht auf. Oben in der Windel bleibt dann das Feste drin, und das ist der Topfen, auch Quark genannt.

Auch Käse macht man selber. Dazu wird frische Milch erwärmt, und es kommt ein Ferment, das man "Lab" nennt, hinzu. Das ist ein Enzym, das im Magen vom Kälbchen produziert wird, und das eine Gerinnung der Milch bewirkt. Nach Zugabe des Fermentes gerinnt die Milch sofort, man kann sie schneiden, und das Wasser trennt sich diesmal vom Eiweiß und vom Fett. Die feste Masse wird in die bereits beschriebene Mullwindel gefüllt und über Nacht kommt ein schwerer Gegenstand drauf, damit das ganze Wasser abhauen kann. Übrig bleibt nach einigen Tagen - Käse! Den haben wir dann in den verschiedensten Variationen hergestellt - mit Pfeffer, Schnittlauch, Paprika, usw...

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Fleisch

Wer Fleisch essen will, muss Tiere töten können. Diese Lektion habe ich schon sehr früh gelernt. Und wer damit aufwächst, für den ist das auch selbstverständlich. Diejenigen unter meinen Lesern, die von empfindlicherer Natur, oder Vegetarier sind, möchte ich darauf hinweisen, dass sie dieses Kapitel getrost überspringen dürfen.

Federviecher zu schlachten geht schnell. Man fängt das Huhn oder was auch immer... nein, das erspare ich euch doch besser.

Ein bis zwei mal im Jahr wird ein Schwein geschlachtet. Das ist dann immer eine größere Geschichte, wo viele Leute mithelfen, dafür können sie essen, so viel sie wollen. Das dauert dann meist den ganzen Tag, bis aus dem zappelnden Borstenviech Kotletts, Schitzel, Gulasch oder Schweineschmalz wird. Das Fleisch wird frisch verarbeitet, eingefroren, oder sons wie konserviert. Die Schinken werden gepökelt oder geräuchert. Es gibt etliche leckere Wurstsorten, bis hin zum Schwartenmagen. Auch die Innereien werden aufbereitet.

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Gastfreundschaft

Kommst du in orahovo zu jemandem zu Besuch, wirst du überschwenglich begrüßt. Obligat ist Küsschen rechts - links - rechts. Naja, das ist ein Abknutsche, kann ich euch sagen *gg*

Die Hausfrau zaubert in den ersten 5 Minuten etwas auf den Tisch - zu alleerst eine Limonade, einen Slivovic (Pflaumenschnaps, der hier ebenfalls erzeugt wird...) oder schwarzen, wie Honig dickflüssigen türkischen Mokka in kleinen Tassen. Meist findet sich auch eine Flasche heimisches Bier, und woher auch immer - einiges an selbstgemachtem Kleingebäck, oder sogar ein Stück Torte. Eine Hausfrau in orahovo ist demnach IMMER auf Besuch eingestellt. Sie sorgt dafür, dass sie eventuell auftauchende Besucher auf diese Art bewirten kann. Ist es ihr einmal nicht möglich, ist sie am Boden zerstört, entschuldigt sich tausend mal.

Bist du gar zum Essen eingeladen, wappne dich gut. Jedes Gericht wird mit so viel Hingabe und Liebe zum Detail gemacht, dass die Hausfrau es als Beleidigung empfindet, wenn du etwas nicht nimmst. Hast du von etwas gegessen, musst du auch ein zweites mal nehmen, denn wenn du nicht nochmal zulangst, signalisierst du, dass es dir nicht geschmeckt hat.

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Hochzeit

Hast du jemals die Möglichkeit, an einer Hochzeit teilzunehmen, ergreife die Gelegenheit, es ist etwas Einmaliges! Meist ist eh das halbe Dorf eingeladen, da zählt man nicht, ob einer mehr oder weniger dabei ist. Die Dimensionen bewegen sich bei kleinen Hochzeiten mit wenigen Gästen und armen Eltern bei 70 - 100 Gästen, aber das ist die seltene Ausnahme. Durchschnittlich gibt es zwischen 150 und 350 Gäste, ich war aber auch schon mal bei fast 500 Gäste - Hochzeit. Pro Partei, versteht sich.

Wochenlange Vorbereitungen und genauso lange Aufräumarbeiten begleiten eine Hochzeit.

Im Hof wird ein riesiges Festzelt aufgestellt, wo alle Gäste reinpassen. Tage vorher wird geschlachtet, vorbereitet, gekocht. Die Gäste kommen Samstag Morgen, es gibt Mittagessen für alle. Am Nachmittag geht man zu Fuß zum Standesamt und anschließend in die Kirche, unterwegs wird gesungen, mit Kapellenbegleitung, die einfach mitgeht. Abends wird getanzt, es werden Spiele gemacht... Um Mitternacht wird die Braut in rot umgezogen, sie tanzt für Geld... so geht das bis Sonntag, wer wie lange kann. Dass Alkohol in Strömen fließt, ist klar, aber es ist so gut wie ausgeschlossen, dass jemand so richtig deswegen ausfällig wird. Die meisten trinken so lange, bis sie umfallen.

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Familie

Der Zusammenhalt in der Familie ist sehr groß. Man hat mit den meisten Cusinen und Cusins, Onkel und Tanten immer wieder Kontakt, der Umgang miteinander ist von gegenseitigem Respekt und liebevollem Umsorgen geprägt. Die meisten Menschen meiner Generation sagen zu den Eltern, Großeltern oder anderen Respektpersonen "Sie". Es ist aber ein vertrauens- und liebevolles Sie.

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Mein Fazit - wenn es eins gibt ;-))

Ich bin durch die Gebräuche diese Dorfes gezeichnet, habe viele wunderschöne Erinnerungen, die mich geprägt haben, und obwohl ich so lange in Deutschland lebe, trage ich orahovo im Herzen. Und wenn du mal in der Gegend bist, schau mal vorbei...